EIN KUNDE MUSS DORT ABGEHOLT WERDEN, WO ER LEBT

Peter Lewandwoski im Gespräch mit:
Holger Meyer
Eva Wunsch Weber, Vorstandsvorsitzende Frankfurter Volksbank
Oliver Klink, Vorstandsvorsitzender Taunus Sparkasse

Fotos: Daniel Ernst; Tobias Reich, Taunus Sparkasse, Frankfurter Volksbank; holger meyer architektur


Share a bank. Ein Zukunftsmodell

„Wir befinden uns im Jahre 50 v. Chr. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt ... Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die römischen Legionäre, die als Besatzung in den befestigten Lagern Babaorum, Aquarium, Laudanum und Kleinbonum liegen ...“ Fast jeder von uns kennt aus seiner Jugend die berühmten Sätze, mit denen jedes Asterixheft eingeleitet wurde, um dann sagenhafte Geschichten über eine bärenstarke, geistreiche Truppe zu erzählen, die immer wieder ihren eigenen Weg ging und so den Römern und dem Zeitgeist Paroli bot. Historiker behaupten, dass Geschichte sich immer wiederholt, wenn auch ein bisschen anders. Und manchmal so realistisch, dass man gar nichts mehr hinzuerfinden muss. Finanzinstitute schaffen es – gelinde gesagt – eher selten, mit positiven Schlagzeilen hohe Aufmerksamkeit zu gewinnen – und das nicht erst seit der Finanzkrise. Vielmehr liest man, dass Banken Arbeitsplätze abbauen, Filialen schließen und sich von ihren Kunden entkoppeln. Aber es gibt auch Lösungen, Ideen und Innovationen. Und kluge Köpfe wie Eva Wunsch-Weber und Oliver Klink. Sie ist Vorstandsvorsitzende der Frankfurter Volksbank, er der Chef der Taunus Sparkasse. Und beide sind in ihrem Erfolg unschlagbar wie Asterix und Obelix; geistreich, stark und neugierig haben sie im Taunus eine Idee umgesetzt, über die das heute journal und andere Fernsehsendungen sowie viele überregionale Tageszeitungen und Wirtschaftsmagazine berichteten – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Dabei wurde die Zusammenlegung ihrer Filialen im ländlichen Raum samt deren Neugestaltung zu zentralen FinanzPunkten im digitalen Zeitalter von so manchem Experten belächelt ...





Oliver Klink (OK): Natürlich gab es auch skeptische Stimmen. Klar: Der digitale Wandel und das digitale Banking sind nicht aufzuhalten. Weder Eva Wunsch-Weber noch ich wollen und können das stoppen. Aber wir müssen uns im Hier und Jetzt bewegen. Und egal, welche Statistik wir bemühen, 60 bis 70 Prozent der Kunden sind hybride Kunden. Sie kennen neue digitale Kanäle, aber sie schätzen auch den persönlichen Kontakt. Das ist ein nicht kopierbarer Wettbewerbsvorteil, warum sollten wir den freiwillig aufgeben? Dann würden wir unseren Job nicht machen, weil der Großteil der Kunden im Hier und Jetzt das möchte. Als Dienstleister tut man gut da-ran, den Kunden das zu geben, was sie wollen.

Wie wird die Präsenzkultur bei Ihnen digital begleitet?

Eva Wunsch-Weber (EWW): Ohne Digitalisierung ist keine Filiale denkbar und ohne Filiale keine Digitalisierung. Der eine Kunde sucht die Filiale auf, weil er sagt: „Ich möchte digital werden, aber ich brauche Hilfestellung.“ Der andere Kunde meint: „Ich habe digital was begonnen, komme aber nicht weiter.“ Kunde drei gesteht: „Ich bin Private-Banking-Kunde. Ich kann Digitalisierung. Ich möchte aber persönlich betreut werden.“ Und der vierte Kunde sagt: „Leute, ich möchte entscheiden, was ich möchte.“ Und das ist der entscheidende Punkt: Wir müssen alle Präferenzen abbilden und wollen es auch.

Holger Meyer (HM): Warum sollte man auch eine Plattform, auf der man noch Menschen zusammenbringen kann, komplett aufgeben? Ein rein digitales Banking kann ich ja mit ganz vielen Anbietern machen, das ist beliebig. Aber meine Sparkasse und meine Volksbank, ich kann das ja beides überzeugt sagen, weil ja beide auch meine Institute sind, haben für mich eine ganz andere Qualität. Wir machen im Büro auch ganz viel digital, klar. Aber es gibt einfach Dinge, die will man nochmal gemeinsam erörtern. Und dafür braucht es einen Raum im besten oder architektonischen Sinne.

OK: Und noch einen mehr. Sie müssen ja auch Gelegenheiten schaffen. Wir reden über Standorte, die nicht mitten im Nichts sind. Die sind da, wo noch ein soziales Leben stattfindet, wo Menschen einkaufen gehen, wo sie sich bewegen.

Was bedeutet es für die Architektur?

EWW: Darf ich eins vorweg sagen? Wir hatten zwei Leitsätze: Digital geht nicht ohne Filiale und umgekehrt. Und: Der Kunde kommt zu uns, wenn es ihm wichtig ist. Die Frage nach der Architektur ist verbunden mit der nach der Logik, von der wir uns haben leiten lassen. Wir brauchten architektonisch nichts Supercooles, sondern etwas Offenes, Transparentes, Einladendes. Der Kunde muss dort abgeholt werden, wo er auch tatsächlich lebt. Und es muss modern sein. Und die digitalen Erfordernisse erfüllen. Wir wollten keine großen Schränke, kein Papier, sondern eine schöne, einladende Atmosphäre, die alle unsere genannten Wünsche widerspiegelt.

OK: Also habe ich Herrn Meyer angerufen und ihm unsere Idee in ein paar Sätzen erklärt: Wir haben Standorte, die sind alt, die sind hässlich. Da ist zwar noch was los, aber es reicht nicht für uns allein. Sie kennen doch die Idee von Carsharing. Das wollen wir mit unseren Filialen machen. Wir haben das Sharing nicht erfunden, wir sind nur die Ersten, die das im Bankgeschäft machen. Ein einfaches Konzept – aber konsequent, mit eigenem Logo, eigener Marke. Und ich denke, lieber Herr Meyer, es war einfach zu verstehen?

HM: Das Konzept war tatsächlich sehr schnell klar. Aber die Gestaltung war eine richtige Herausforderung. Weil beide Institute, sowohl die Frankfurter Volksbank als auch die Taunus Sparkasse, an ihren zentralen Standorten ziemlich viel getan haben. Jede für sich hat einen Filialtypus entwickelt, der einfach, offen und kundenorientiert ist. Durchaus mit ein paar unterschiedlichen Ansätzen. Das hat es aber gerade spannend gemacht. Jetzt ging es hier um Standorte, die, wenn man modernes Banking als Benchmark setzt und auch das Verständnis von der modernen Filiale und der Kundenkommunikation in beiden Häusern kennt, wirklich weit hintendran waren. Das waren Filialen, die waren nicht nur oldschool, sondern zum Teil noch ein Stück davor. Und genau daraus haben wir ja ein Thema gemacht.

OK: Herr Meyer. Das ist total unfair. Man hätte wundervoll so 60er- oder 70er-Filme dort drehen können.

HM: Genau. Ja.


„Das Revolutionäre war, Grenzen zu brechen und es gemeinsam zu tun“



Jetzt nach erfülltem Auftrag kann er ja die Wahrheit sagen …

HM: Die Bank war außen geschützt. Es gab Schleusen und keine offenen Zugänge, eher den klassischen Tresen mit Panzerglas als einen offenen Kundenbereich. Es war keine Kommunikationsfläche, sondern mehr ein Funktionsraum klassischer Prägung. So würde ich das mal neutral formulieren. Insofern kann man jetzt auch sagen, wir hatten da leichtes Spiel, weil wir wussten, wo wir hinwollten. Tatsächlich ist das aber die Kunst. Und das haben wir uns ein Stück weit gemeinsam erarbeitet, denn das Offene und Transparente ist mit der Multifunktionalität natürlich viel schwieriger auf dreißig Quadratmetern umzusetzen als auf dreihundert. In der klassischen, großen Filiale ist es anders als in einem FinanzPunkt, weil da auf kleinstem Raum alles geleistet werden muss. Wir wollten Nähe zum Kundenberater und eine einladende Gesprächsatmosphäre im minimalen Raumzusammenhang schaffen. Alle abweisenden Barrieren, wie einen Schreibtisch, hinter dem man sitzt, wollten wir auflösen – das hat zu einer sehr spannenden und anregenden gemeinsamen Diskussion geführt. Diese Multifunktionalität haben wir gut hinbekommen. Außerdem mussten wir ein Double Branding umsetzen, die Wiedererkennbarkeit von Volksbank und Sparkasse gleichermaßen.

OK: Ich freue mich jedes Mal, wenn ich in einen FinanzPunkt gehe. In meinen Augen ist die Architektur über einen großen Schatten gesprungen und hat ein standardisiertes Konzept in immer wieder verschiedene Räumlichkeiten eingebaut. Wir hatten quasi unseren Schuhkarton, der überall reinpassen musste. Die Einfachheit in ein Konzept zu gießen, das multiplizierbar ist: Das war schon eine tolle Leistung.

EWW: Das ist ja genau das Coole. Plüsch kann jeder, würde ich mal sagen. Wenn Sie aber das, was Sie denken, was Sie fühlen, nach außen transportieren, dann haben Sie es geschafft. Und ich glaube, das ist dort einfach gelungen. Das klingt alles so selbstverständlich und einfach, war es das? Wie viel Mut haben Sie gebraucht?

OK: Also erstmal war es Mathematik. Die Frequenz an unseren Standorten reichte nicht mehr für fünf Tage die Woche. Deswegen stellte sich schnell die Frage: Wenn es doch Sinn macht, warum tun wir uns nicht zusammen und erhöhen so den Traffic? Und das hat funktioniert. Wir haben heute mehr Frequenz in den Standorten als vorher. Da ist richtig was los. Und die schönsten Beschwerden, die wir bekommen haben, waren: „Wegen des Lockdowns muss ich in der Schlange stehen.“ Das hätten wir in den alten Filialen nie gehört.

Ohne dass Sie dort impfen oder testen …?

OK: Wir haben einen anderen Booster.

EWW: Sie brauchen die leuchtenden Augen der Mitarbeiter. Wenn unsere Augen schon nicht leuchten würden, dann könnten es die der Mitarbeiter auch nicht. Und Sie müssen aufgeschlossen für Neues sein. Mut brauchen Sie nur, um Ihre Angst zu überwinden. Ich glaube, dass wir zwei sehr neugierige, sehr aufgeschlossene Banken sind. Wir sind ja immer noch Wettbewerber. Und zwar sehr ernsthafte. Aber wir mussten uns entscheiden, was wir wollen. Neugierde oder Angst? Wir haben Neugierde und leuchtende Augen. Und das steckt an.

HM: Ich würde da noch einen draufsetzen und sagen, das hat ja auch einen Modellcharakter auf zwei Ebenen. Zum einen, dass wir eine architektonische Lösung für eine neue Art der Kundenkommunikation an Orten gesucht haben, an denen noch Infrastruktur vorhanden ist, und zum anderen, wie eine Bank oder Sparkasse im digitalen Zeitalter noch in der Fläche funktionieren kann. Das hätte jeder für sich machen können. So wie immer. Das Revolutionäre aber war, die Grenzen zu brechen und es gemeinsam zu tun. Das war ja jetzt alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Da gab es ja Bankenverbände dahinter, da gab es ja Leute, die die Stirn in Falten gelegt haben, dass eine Sparkasse mit einer Volksbank, wie Frau Wunsch-Weber sagte: ernsthafte Wettbewerber, gemeinsam so ein Modell denkt. Das ist ja der noch größere Teil des Modellcharakters, der ja gänzlich unarchitektonisch ist. Ist der Prozess mit Ihrem Erfolg abgeschlossen?

EWW: Wir haben am letzten Tag der Eröffnung des letzten FinanzPunktes ja nicht aufgehört miteinander zu reden. Das heißt, wir schauen immer: Laufen wir in der Weiterentwicklung unserer Häuser in den Grundfesten weiter so, damit wir mit unserer Philosophie auch die FinanzPunkte in ihrer Attraktivität stärken können? Wenn eines unserer Häuser sich dazu entschließen würde, nur noch Digitalbank zu sein, hätten wir logischerweise ein Problem.

OK: Wir behandeln die Frankfurter Volksbank eigentlich so, wie wir unsere Kunden behandeln. Mit Fairness und Respekt.

Um nochmal auf die Architektur zu kommen: Welche Haltbarkeit hat denn die Willkommenskultur in der Optik?

HM: Ich glaube, dass wir eine solide Basis geschaffen haben. Für mich ist hier der Prozess noch viel spannender als die Architektur, die nur das Hilfsmittel ist, um eine Idee zu transportieren. Die nimmt sich zeitlos zurück. Ich finde, das Ganze ist ja ein gesellschaftliches Bekenntnis. Umgang mit dem ländlichen Raum ist ja auch Thema von unserem Heft: „Wie verändert sich denn die Stadt im Verhältnis zum ländlichen Raum?“ Und da sind die FinanzPunkte einfach ein wunderbares Beispiel, wie sich beide Unternehmen mit New Work beschäftigen und sich fragen: „Wie können wir denn unsere Kunden halten? Wie bleiben wir in Kontakt mit ihnen?“ Ich glaube, dass beide Häuser mit den FinanzPunkten ein klares Bekenntnis abgegeben und auch be-
wusst eine Vorreiterrolle eingenommen haben, indem sie aufzeigen, wie sich Dienstleistung und Nähe zum Kunden im ländlichen oder stadtnahen Raum auch künftig mit starker Präsenz entwickeln können – und das leistet letztlich auch einen gesellschaftlichen Beitrag zur Stärkung von Handel und Kultur an diesen Orten.



„Plüsch kann jeder, würde ich mal sagen“