STADT MUSS SEELE HABEN

Peter Lewandowski im Gespräch mit:
Kapuzinerbruder Paulus

Fotos: LÊMRICH Studio


Wie war es auf dem Dach der Frankfurter Sparkasse?
Bruder Paulus (BP): Sehr schön (lacht).

Und was hast du von dem Dach aus gesehen?
BP: Ja, zum einen, dass wir in Frankfurt natürlich viele Menschen haben, die hoch hinauswollen. Menschen, die ihre Karrierewünsche haben und die gerne oben säßen. Und gleichzeitig gibt es doch auch viele, die unten sitzen. Also ich habe an erfüllte Träume und an zerstörte gedacht. Und mich dann gefragt, wie ein Zusammenhalt in dieser Stadt wachsen kann. Wie neue Begegnungsstätten geschaffen werden können.

Holger, welche Rolle spielen Orte der Begegnung in eurer Planung?
Holger Meyer (HM): Der Maßstab für neue Planungen ist ja immer die Qualität, die wir aus unserem Umfeld der gewachsenen Stadt kennen. Orte der Begegnung, die räumlich eine Qualität haben, wo wir uns gerne aufhalten, die grün sind, die richtig belichtet sind und so weiter. Bei der Planung spielt dann aber auch der Egoismus jedes Einzelnen mit rein und das ist ein schwieriger Punkt. Wir haben einmal in Düsseldorf ein großes Wohnquartier geplant. Bei einer Bürgerversammlung gab es große Widerstände gegen einen öffentlichen Park, den wir dort als Ort der Begegnung vorgesehen hatten. Ein Anwohner empörte sich lautstark, dass doch jeder seinen eigenen Garten hätte. Das Umfeld der neuen 800 Wohnungen war ihm egal. Das Beispiel zeigt, wie Planungsprozesse ablaufen und wie tief dieser innere Egoismus verankert ist.

Bruder Paulus, du hast mal in einem Interview gesagt: keine Entscheidung ohne Ethik. Was sind die Parameter und was müsste der Leitgedanke sein, auch bei wirtschaftlichem Handeln?
BP: Ethik beinhaltet eigentlich alle Gründe, die uns davon abhalten, Opfer des Profits zu werden. Gemeinwohl muss immer an erster Stelle stehen. Aber ich bin auch ein Realist, beobachte hier jeden Samstag vor der Kleinmarkthalle Leute, die alle sagen würden, wir sind ethisch hochanständige Menschen – mit einem Rheingauer Riesling in der Hand lassen sie ihren Dreck unter sich fallen. Es sieht am Sonntagmorgen aus wie Sau. Dann frage ich mich, wie man darauf reagieren kann, mehr Abfallkübel zum Beispiel oder Toiletten, gerne mit Personal, dessen Lohn im Weinpreis eingepreist ist. Also alles, was für ein schönes Ambiente sorgt. Natürlich ist Stadtplanung kein Erziehungsprogramm. Aber wir brauchen Angebote, die uns daran erinnern, eine gemeinsame Stadt zu sein.



„WENN WRTVOLLES GESCHAFFEN WIRD WERDEN LEUTE AUCH AN IHREN EIGENEN WERT ERINNERT“

BRUDER PAULUS

Schaffen Räume Respekt?
BP: Ja, wir haben hier ja unser Obdachlosen-Frühstück in Räumen mit hochwertiger Ausstattung. Wir haben noch nie erlebt, dass irgendetwas beschädigt wurde. Die Einrichtung strahlt eine Atmosphäre aus, von der sich Menschen automatisch angesprochen fühlen. Ich glaube, wenn Wertvolles geschaffen wird, dann werden Leute auch an ihren eigenen Wert erinnert. Dafür hat man früher Architektur gemacht, die schön war. Also dass man nicht nur so funktional Beton irgendwo hingießt und eine billige Tür einbaut, sondern den Eindruck hat: Da haben sich Leute Mühe gegeben.

HM: Ich nenne das liebevolle Architektur. Also das, was die Dinge für das Auge liebenswert, interessant und abwechslungsreich macht, hat die Moderne eigentlich getötet und die Qualität der Oberfläche und des Materials, ist auch in weiten Teilen verloren gegangen.

BP: Muss Architektur immer quadratisch, praktisch und gut sein, wie beispielsweise im Europaviertel in Frankfurt? Wahrscheinlich ist das billiger, weil es vorkonfektioniert ist und es wie von der Stange oder aus dem Aldi aussieht?

HM: Wobei ja gerade das Europaviertel ein gutes Gegenbeispiel für die These ist: Auch wenn es zum Teil so scheint, ist das durchaus nicht alles preiswerte Architektur.

BP: Ja eben, aber trotzdem – wenn man da durchfährt, einer von vielen seelenlosen Orten, die ich kenne …

Wie schwer ist es denn, Investoren von liebevoller Architektur zu überzeugen?
BP: Also ich denke, hinter Norman Fosters Konzept für die Commerzbank mit den Weltgärten und einer natürlichen Klimaanlage stecken eine Vision und ganz viel Herzblut. Wenn ich die Zentrale betrete, spüre ich eine Atmosphäre, die den Menschen gut- tut. Wirtschaft kann ja nur aufblühende Menschen brauchen. Also, der Begriff Purpose ist jetzt in aller Munde. Dabei ist doch klar, dass Menschen sinnvoll arbeiten wollen an einem entsprechenden Arbeitsplatz und am liebsten in einer klug und menschenfreundlich geplanten Stadt leben möchten.

HM: Ich glaube auch, dass man Investoren mittlerweile dafür begeistern kann. Weil das im besten Sinne nachhaltig ist und Strukturen entstehen, die einfach über Dekaden hinweg als städtischer Raum funktionieren.

 

Ist die Gefahr noch größer, dass die liebevolle Architektur unter die Räder kommt, wenn man jetzt nach der Bundestagswahl mindestens vierhunderttausend Wohnungen im Jahr bauen möchte? Wird bei der Notwendigkeit, Wohnraum zu schaffen, die Lebensästhetik vergessen?
BP: Ich sage es mal politisch: Es ist ein Skandal, dass das Stadtplanungsamt nicht verpflichtet ist, mit dem Kulturamt zusammenzuarbeiten. Die Frau, deren Mann auf dem Friedhof verabschiedet wird, muss jeden Lorbeerbaum extra bezahlen, weil der Friedhof als Eigenbetrieb geführt wird, der wirtschaftlich arbeiten muss. Beim Besuch der Oper wird aber ihre Eintrittskarte mit achthundert Euro subventioniert. Bestattung ist auch ein Kulturgut unserer Gesellschaft, das zu unserem Leben gehört und deswegen öffentlich finanziert werden müsste. Es dürfte also keine Stadtplanung ohne Kulturfachleute geben, sonst haben wir am Ende die Museen auf der einen Seite stehen und die Wohnungen auf der anderen. Warum haben wir nicht mehr Kreativräume und solche Dinge? Ein Museum mitten in einem Stadtviertel? Warum gibt es nicht ein ortsbezogenes Museum? Wohnviertel werden oft degradiert zu Schlafquartieren und sind keinesfalls Orte, an denen ich mit anderen gemeinsam leben kann.

Wenn du in zehn Jahren wieder auf dem Hochhaus stehst und einen Traum hättest, was würdest du sehen wollen?
BP: Ach, ich würde sehen wollen, dass über den Vorstandsetagen und den obersten Etagen der Hochhäuser, dass da noch eine Etage oder zwei aufgestockt sind, in denen es Sinnräume gibt, in denen es Kulturtreffen gibt, in denen Anziehungspunkte sind, wo Menschen ihre Seele zum Schwingen bringen können, damit sie wieder beschwingt durchs Leben gehen, weil sie dem Himmel da ein bisschen näher gekommen sind.


Herzlichen Dank für das Gespräch.